Wider den Hass


Eigentlich lese ich Kommentare nicht mehr und tue es doch immer wieder, in der Hoffnung, etwas zu lesen, das mir beweist, dass die Menschheit noch zu retten ist. Letztens tat ich es wiedereinmal. Es ging in einem Artikel um die sich festklebenden KlimaaktivistInnen. Der Beitrag des Spiegels berichtete, einigermaßen neutral, über eine Aktion in der Hamburger Elbphilharmonie, wo sich zwei AktivistInnen am Dirigentenpult festklebten. Die AktivistInnen sprachen an die ZuschauerInnen gewandt darüber, dass auch die Elbphilharmonie bald nicht mehr existieren wird, wenn der Meeresspiegel weiter steigt. Die Polizei kam und führte sie ab. Das Konzert fand ungestört statt. Ich schaute mir die Kommentare unter dem Beitrag an, in der Hoffnung wenigstens ein paar zu lesen, die den AktivistInnen recht geben, aber es war nicht ein einziger Kommentar dabei, der auch nur ein bisschen Verständnis für die Verzweiflung der jungen Menschen aufbrachte. Ich las von "grünen Schmarotzern", von "wegsperren", "fesseln und verhungern lassen" und von "Eliminieren!"

An anderer Stelle, nach einem Auftritt von Luisa Neubauer bei "Lanz", schrieb einer von einem "grünen Nichts" mit einem "Spatzenhirn", ein anderer von einem "faulen Stück" und noch ein anderer meint, sie solle sich lieber mit "Schminken" beschäftigen, das würde ihrem "hässlichen Gesicht" gut tun.

Warum verspüren manche Menschen diese Lust andere Menschen zu beschimpfen, zu beleidigen oder zu zerstören? Was für eine Gedankenwelt steckt dahinter? Warum reicht es ihnen nicht ihre Meinung zu äußern oder konstruktiv zu kritisieren? Kritik ja, wütende, hilflose Kritik ja, aber das Vernichten einer Person oder Personengruppe? Welche Mechanismen, welches Denken, welche Strukturen stecken dahinter? 

Längst betrifft dieser Hass nicht nur Medienschaffende, Politiker und Prominente. Er richtet sich gegen Frauen, Homosexuelle, Juden, Veganer, Grüne, Schwarze, Bürgerrechtler, Linke, Greenpeace, Künstler, Radfahrer, Heimwerker, ja sogar gegen Wölfe, die "abgeschossen gehören". Alles was nicht so ist wie... Ja, wie was oder wer eigentlich? Nicht so wie das jeweilige ICH? Denn ICH weiß was richtig ist, wer richtig ist, was jeder, der dazugehören will, zu tun oder zu lassen hat, wie er/sie auszusehen hat? 

Woher kommt dieser "Vernichtungseifer"? War der schon immer da? Hatten die Inquisitoren im Mittelalter genau solche Gedanken im Kopf, als sie Hexen und Ketzer verbrannten? Oder die Leute im dritten Reich, die glaubten alles, was nicht arisch ist, sei minderwertig und gehört vernichtet? Wer sind eigentlich diese Hater? Sind es die "Ostdeutschen" oder die "Männer"? Ist es der "alte weiße Mann"? Sind es vielleicht die geistig unterprivilegierten, bildungsfernen Menschen und deshalb gibt es Hater in gebildeten Schichten eher nicht? Spielen scheinbare Überlegenheit, Neid, Angst um Privilegien und Machtverlust eine Rolle?

Auf der Suche nach Antworten empfahl mir eine Freundin u. a. Carolin Emcke. Wie konnte ich ihr hervorragendes Buch "Gegen den Hass" nur vergessen, steht es doch in meinem eigenen Bücherschrank. Carolin Emcke geht, mit großer Detailgenauigkeit, all diesen Fragen nach. Im Vorwort zum Buch schreibt sie: "Der Hass bricht nicht plötzlich auf, sondern er wird gezüchtet. Alle, die ihn spontan oder individuell deuten, tragen unfreiwillig dazu bei, dass er weiter genährt werden kann." Das bedeutet, dass Hass, anders als Wut, nicht im Affekt entsteht, sondern aus einem fruchtbaren, vorbereiteten Boden aufsteigt. Und was oder wer bereitet den Boden? Mir fallen da ganz spontan einige Beispiele ein: Rechtsextreme Parteien die in den Bundestag einziehen, Wörter, die ohne Scheu wieder gesagt werden dürfen, Politiker, die über die überlegenen Eigenschaften der Deutschen schwadronieren. Und natürlich tendenziöse Berichterstattung über Flüchtlinge, arme Länder, Länder, die von Deutschland "profitieren", Arme, die von "unserer" Großzügigkeit als Steuerzahler leben, ohne selbst zu arbeiten, Frauen, die durch die Quote erreichen, dass auch "die letzte dumme Ziege"(O-Ton) gegenüber den armen, benachteiligten Männern bevorzugt wird. Und nicht zu vergessen das Judentum, das mit seinem Geld die Welt beherrschen will. 

Das alles kann man in den Medien finden, jeden Tag. Nicht nur in den sozialen Medien. "Das Spektakel einer Meute hat Tradition, die demonstrative, öffentliche Demütigung von Marginalisierten, das Vorführen der eigenen Macht in einer Arena, in der wehrlose Menschen gehetzt oder gelyncht werden, in der ihre Häuser und ihre Geschäfte beschädigt oder zerstört werden, das gehört zu alten, überlieferten Techniken.", so schreibt  Emcke. Möglich wird das durch Deindividualisierung. Aus einzelnen Menschen wird eine gesichtslose Masse. "Wer sich nicht mehr vorstellen kann, wie einzigartig jede einzelne Muslima, jeder Migrant, wie singulär jede einzelne Transperson oder jeder einzelne schwarze Mensch ist, wer sich nicht vorstellen kann, wie ähnlich sie in ihrer grundsätzlichen Suche nach Glück und Würde sind, erkennt auch nicht ihre Verletzbarkeit als menschliche Wesen, sondern sieht nur das, was als Bild vorgefertigt ist. Und dieses Bild, diese Erzählung liefert "Gründe", warum eine Verletzung von Muslimen (oder Juden oder Feministinnen oder Intellektuellen oder Roma) zu rechtfertigen sei.". meint sie. Wir sehen nicht mehr die syrische Mutter, die ihre Söhne nach Deutschland für ein besseres Leben schickt. Wir sehen eine Horde allein reisender, muslimischer Männer, potenzielle Vergewaltiger. Wir sehen nicht den 14 jährigen Jungen, der sich schon sein ganzes Leben als Mädchen fühlt und deshalb das Geschlecht wechseln will. Wir sehen eine Mode, die wie eine Welle über die Frauen und die ganze Gesellschaft hinwegschwappt.

Aber wem nützt dieser Hass eigentlich? Wer sind die Profiteure? Emcke schreibt dazu: "Der Hass könnte niemals solche Wirkung entfalten, nicht so nachhaltig, nicht so dauerhaft, nicht überall in der ganzen Republik aufbrechen und sich entladen, gäbe es nicht die heimliche Duldung derer, die vielleicht nicht die Mittel von Gewalt und Einschüchterung gutheißen, aber doch das Objekt, an dem sich der Hass entlädt, missachten. Sie hassen nicht selbst, sie lassen hassen." Da sind z. B. Behörden, für die Vergewaltigung ein Kavaliersdelikt ist, die Polizeigewalt an Schwarzen bagatellisieren, die Unterlagen zu NSU-Morden vernichten. Es sind Politiker, die Frauen zurück am Herd sehen und mit Hilfe des §218 weiterhin über ihre Körper herrschen wollen, queeren Menschen die Existenzberechtigung absprechen, Transmenschen mit unwürdigen Fragen malträtieren. Und es sind Menschen die nicht verstehen, dass die Welt sich verändert, ob sie nun wollen oder nicht. 

Wie können wir aber gegensteuern, was tun gegen diesen Hass? Emcke sagt:"....mit der Wahrheit die ausgesprochen wurde, einen Pakt einzugehen. Nicht nur zu glauben, dass alle Menschen vielleicht nicht gleichartig, aber gleichwertig sind, sondern diese Gleichwertigkeit auch auszubuchstabieren: sie wirklich einzuklagen, permanent, gegen den Druck, gegen den Hass, damit sie nach und nach nicht nur poetisch imaginiert, sondern real verwirklicht wird." Und Hannah Arendt schrieb: "Macht ist immer ein Machpotenzial und nicht etwas Unveränderliches, Messbares, Verlässliches wie Kraft oder Stärke. Macht (...) besitzt eigentlich niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, wenn sie sich zerstreuen." Das bedeutet, wir alle können Macht entstehen lassen, gemeinsam, uns gegenseitig Beistand leisten gegen den Hass. Mit unserer Unterstützung die Forderungen der Klimaaktivisten endlich in die Köpfe der Menschen bringen und in die Parlamente. Frauen, queere Menschen, Flüchtlinge, Kinder, Tiere auf der ganzen Welt unterstützen, indem wir uns vor sie stellen, indem wir zusammenfinden und machtvoll handeln.

    

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