Fragen an eine Künstlerin

 

                                                                                                                                                                                    o. T.    2023, Monoprint  Bärbel Thürer 


Wer bist du?

Ich wuchs in einer sehr großen Familie mit vielen Geschwistern auf. Meine Eltern kamen aus einfachen Verhältnissen. Eine anständige Schulbildung war ihnen sehr wichtig. Ich und alle meine Geschwister haben die Schule (ä. der Realschule) beendet und eine Berufsausbildung gemacht. Das Bild von meiner Zukunft enthielt das Studieren nicht, noch weniger das Studium der Kunst. Also machte ich eine ganz normale Berufsausbildung und arbeitete viele Jahre. Das Malen hat mich in all der Zeit nie verlassen. Erst viel später, mit fast 40, habe ich in Freiburg an der Freien Hochschule studiert.

 

Wo kommst du her?

Geboren bin ich in Halle, im heutigen Sachsen-Anhalt.

Das Land, in dem ich wurde, was ich bin, gibt es allerdings nicht mehr. Die Menschen dort wollten gemeinsam etwas aufbauen, etwas das gerechter, friedlicher und brüderlicher wäre als alles, was es bis dahin gab. Ist uns das gelungen? Nein. Unsere Gier nach Bananen und Autos war zu groß. Die angebliche "Freiheit" lockte zu sehr. Ich habe gern in diesem winzigen Land gelebt, ich habe es trotz aller Unzulänglichkeiten geliebt. Und ich fühle noch immer einen großen Verlust und eine große Trauer, wenn ich daran denke.

 

Warum machst du Kunst?

Mein innerster Antrieb ist es, kreativ zu sein, etwas Neues, Besonderes, Sinnvolles zu schaffen. Das könnte etwas Technisches oder Gestalterisches sein, aber meine Leidenschaft galt und gilt der Malerei. Christa Wolf hat auf die Frage, warum sie Schriftstellerin wäre und sich den Zweifeln und Mühen aussetze, geantwortet: „Weil nichts anderes in mir so zwingend ist!“ Das trifft es sehr genau. Es gibt einfach nichts, was mich mehr antreibt, interessiert, berührt und anregt, nichts, was mich weniger langweilt als Kunst.


Was hielt dich bisher davon ab von deinen Arbeiten zu leben?

In erster Linie waren es immer wieder Angst, Selbstzweifel und zu hohe Ansprüche an mich selbst. Ich finde zwar oft ganz gut, was ich da mache, aber wen soll das schon interessieren? Ich „verkaufe" mich nicht gerne und hasse Marketing, auch wenn ich weiß, wie wichtig es für mich ist. Diesen Bereich jemandem andern zu übergeben, ist zwar eine gute Idee, muss aber auch finanziert werden. Ich vertraue nicht leicht und kann deshalb schlecht abgeben. Dazu kommen vielfältige Zwänge, selbstgemachte und fremdbestimmte, wie Familie, Geld und Lebensumstände. Manchmal fehlte mir der Mut, wieder in die finanzielle Unsicherheit zu wechseln, denn ich habe Verantwortung nicht nur für mich, sondern auch für andere Menschen und Wesen, die das Leben mit mir teilen. Manchmal fehlt mir einfach ein gewisses Maß an Egoismus.

Ein großer Teil meiner Lebenszeit verging mit anderen Beschäftigungen wie Lohn- und Familienarbeit. Ich habe mir immer mal wieder ein bisschen Zeit für die Kunst „gestohlen“. Nun möchte ich meine Lebensbereiche jedoch so gestalten, dass jeder Bereich seinen angemessenen Platz bekommt. Das bedeutet, dass alle Bereiche dazugehören, aber in Zukunft eine andere Gewichtung bekommen werden. Als Malerin, Schreiberin und Lehrerin will ich in das Thema Kunst eintauchen und gleichzeitig für mein Einkommen sorgen.


Was befähigt dich dazu Künstlerin zu sein?

Zuerst einmal denke ich selbstständig und unangepasst und habe den Mut, alles infrage zu stellen. Das macht mich oft anstrengend für andere Menschen. Ich bin flexibel im Denken, kann Zusammenhänge herstellen und lerne gern Neues in sehr vielen Bereichen. Ich bin neugierig, habe wenige Vorurteile und keine Angst vor "dem Fremden". Ich habe kein großes Sicherheitsbedürfnis und kann recht gut mit unberechenbaren Situationen umgehen. Ich kann mich vollständig auf eine Sache konzentrieren und darin versinken und ich benutze gerne meine Hände, bin einigermaßen geschickt und beherrsche die Grundlagen meines Handwerks.


Was ist Kunst für dich?

Kunst ist in erster Linie das Produkt eines Künstlers. Im besten Falle berührt es mich. Es ist neu, überraschend, besonders, etwas, das ich so noch nie gesehen, gehört oder gelesen habe. Es sagt mir etwas über mich und über den Künstler. Und Kunst ist zutiefst subjektiv. Jeder Mensch sieht eine andere Facette eines Kunstwerks, wird von anderem angezogen oder abgestoßen. Joseph Beuys sagte: "Jeder Mensch ist ein Künstler. Damit sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die in jedem Menschen vorliegt [...]. Das Schöpferische erkläre ich als das Künstlerische, und das ist mein Kunstbegriff." Dem stimme ich zu, es geht um Kreativität. Sie findet sich in allen Lebensbereichen, bei allen Menschen in unterschiedlicher Ausprägung. Der Aussage: "Alles ist Kunst", stimme ich dagegen nicht zu. Erst die Künstlerin, der Künstler macht einen alltäglichen Gegenstand, eine schöne Aussicht, oder ein Porträt, durch ihre/seine Gedanken und Visionen zu Kunst. Ich stehe oft vor einem Werk und weiß instinktiv, das ist große Kunst und dieses ist gutes Handwerk und jenes nicht. Ganz unabhängig davon ob es mir gefällt oder nicht. Definieren kann ich es meist nicht, da spricht eindeutig "mein Bauch". 

Ob das, was ich mache Kunst ist, müssen andere beurteilen. Ich mache Bilder, ich bin Malerin und ich möchte Menschen berühren. Ich möchte sie neugierig machen auf etwas, das man nicht auf den ersten Blick erkennt, das aus dem Rahmen fällt, ein bisschen seltsam und anders ist, sich der Anpassung entzieht und nicht perfekt ist.


Was ist die Aussage deiner Kunst?

Ich will neugierig machen, die Lust wecken, das unter der Oberfläche Liegende zu erforschen. Nichts hat nur eine Dimension, nur eine Seite. Jeder Mensch, jedes Tier, jeder Text, jedes Bild, ja sogar jeder Gegenstand hat Schichten und Facetten, die man nicht auf den ersten Blick wahrnehmen kann. Alles und jeder hat einen Grund und eine Berechtigung für seine Existenz. Auch dann, wenn wir starke Zweifel daran hegen. Vielleicht ist es gerade dann wichtig, die Gründe ihrer Existenz zu erforschen, unter die Oberfläche zu schauen, bevor wir ein Urteil fällen. Die oberste Schicht, das Sichtbare, ist eine Momentaufnahme, nur in diesem einen Augenblick wahr. Sie verdeckt manchmal das Darunterliegende nur notdürftig, wie in der Hoffnung, dass es doch noch jemanden geben könnte, der/die es erkennt. Es sind Schichten von Schönem und Hässlichem, Erinnerungen, Erfahrungen, Erlebnissen, von Mühe, Selbstzweifel, Scheitern, Aufbruch, Wissen, Erkenntnis, Verwerfen, Veränderung und Verleugnung.

Bei der Entstehung der Bilder beschreite ich einen Weg von den unteren, am Ende kaum noch wahrnehmbaren Schichten bis an die Oberfläche, die Momentaufnahme, den Endzustand des Bildes. Jedes Mal ist der Weg einmalig und überraschend. Jeder Beginn offenbart eine neue Variante des Wegs, der am Ende ein einmaliges Bild zeigen wird, das so noch nie da war. Manchmal bekommen diese Oberflächen Risse, oder man trägt die Fassade ein bisschen ab und die darunter liegenden Schichten werden sichtbar. Manchmal sieht man die Spuren, die man eigentlich verstecken wollte und manchmal eröffnet sich der Blick auf etwas besonders Schönes.

Ich glaube, uns und unserer Welt fehlt oft das Wissenwollen, das Ergründenwollen. Vielleicht wäre die Welt ein besserer Ort, wenn wir vor unserem Urteil erst einmal unter die Oberfläche schauten und versuchten zu verstehen, was wir da sehen.

Mit meinen Bildern möchte ich Menschen auffordern: "Kommt ganz nah ran. Schaut genau hin. Lasst, was ihr seht, auf euch wirken. Nehmt euch Zeit. Fragt nach und urteilt nicht vorschnell. Bleibt neugierig und offen für das Ungewohnte, das Andere, das Fremde!“

Am Ende steht immer die Freude, den Weg zu Ende gegangen zu sein, nicht aufgegeben zu haben. Für einen Augenblick entsteht ein Moment des Glücks und des Wissens, warum ich tue, was ich tue.

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